In modernen Kraftfahrzeugen ist inzwischen fast alles beleuchtet, wenn man es benötigt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die Unterkanten der Türen beim Ein- und Aussteigen die Rasenkante oder den Fußweg illuminieren (die sogenannte „Shit-Lamps“). Oder das Auto leuchtet einem den Heimweg zur Haustür. Jahrelang habe ich selbst die Lampen im beleuchteten Schminkspiegel auf der Beifahrerseite genutzt, um in der Dämmerung eine Zeitung oder ein Magazin durchzuschmökern. Meine Freundin machte mich auf diese Leselampe in ihrem Auto aufmerksam, parallel fiel mir die Leuchte auf, die auch ihren Innenspiegel, also den auf der Fahrerseite, erhellt. Ich fand das immer albern, denn niemand schminkt sich doch auf dem Fahrersitz, oder? Ha. Und wie!

Als Mann, der seinen kurzen Bart nur alle paar Tage mal wieder in Form bringt, schätze ich den Badezimmerspiegel. Und als Mann habe ich die männertypischen Scheuklappen auf und dachte immer, alle anderen Männer machen das auch so. Genau wie die Frauen, die sich die Lippen nachziehen oder den Eyeliner auffrischen. Das passiert zu Hause. Oder eben auch nicht. Auf dem Weg zur Arbeit sehe ich vor einer Woche links von mir einen jungen, gut gekleideten Mann, der sich während einer längeren Ampelphase leicht verrenkt vor dem Innenspiegel … rasiert! Der hatte es wohl an dem Morgen ein wenig eiliger und konnte das nicht mehr zu Hause erledigen. Oder kam er von seiner heimlichen Affäre (statt vom „langen Meeting im Hotel“) und fuhr nach Hause, verwischte also die Spuren? Oha. Bekannte berichten mir von Frauen, die während der Wartezeit im Stau oder bei Ampelphasen kurz ihr Make-up auffrischen. Quasi das Pendant zur Rasur. Am Steuer. Hm.

Dass Mann oder Frau das nicht während der Fahrt darf (und auch während eines kurzen Stopps an der Ampel halte ich das für fragwürdig), liegt auf der Hand. Trotzdem machen es aber anscheinend einige, weil sie die Zeit im Auto möglichst effizient nutzen wollen und so noch ein paar Minuten länger im Bett liegen bleiben können? Für mich als Zu-Hause-Rasierer war der Schminkspiegel im Auto nie ein Thema (außer zum Lesen), jetzt ist er in meinem Kopf gesetzt. Ich sehe plötzlich vorwiegend junge Damen, die ihr Auto parken und vor dem Aussteigen noch schnell die Optik kontrollieren. Ich sehe Frauen und Männer, die vor dem Aussteigen noch einmal nach schräg oben die Zähne blecken, um Mohn- oder Sesamkrümel vom Frühstücksbrötchen zu entdecken. Alles im warmen Licht der Spiegellampe. Sie scheint eine größere Bedeutung zu haben, als ich bis dahin angenommen hatte.

Wollen wir nicht alle für die anderen gut aussehen? Und für uns selbst?
Wieder eine Erkenntnis mehr, spät, aber erleuchtend. Meine Freundin weist mich darauf hin, dass auf der Beifahrerseite inzwischen der Klappdeckel vom Spiegel abgebrochen sei und die kleine Lampe deshalb nicht mehr angehe. Nächste Erkenntnis: Diese Lampenform mit Kontakten an beiden Enden des Glaskörpers wird „Soffitte“ genannt, in meinem Fall hat sie die Leistungsdaten 12V und 3W. Da werde ich mich mal dranmachen. Bis dahin muss ich mich eben auf dem Fahrersitz rasieren und schminken. Irgendwas ist ja immer.

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